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AutorenbildAndreas Eich

Deutsche sind Ingenieure, Briten sind Businessmen

Aktualisiert: 29. Juli 2023

Im Post über das englische Bildungssystem, führte ich aus, dass in einigen englischen Schulen (eher: in vielen) die Schüler getrieben werden, ihr Fächerprofil in den späteren Jahren auf Jobs mit guten Verdienstmöglichkeiten auszurichten. Interessen hat man zu ignorieren, es zählt Geld zu verdienen. (Warum dies für ein Bestehen in der britischen Gesellschaft nicht die schlechteste Entscheidung ist, führe ich z.B. in meinem Post über Gehälter und Lebenshaltungskosten aus.) Der britische Fokus auf Belange des Geldverdienens hätten mir allerdings bereits vor Jahren auffallen können. Waren wir auf einer Party und betrieben ein wenig Smalltalk, wollten Briten meist ganz andere Dinge von meiner Arbeit als Physiker wissen als Deutsche.



Die Fragen letzterer drehten sich um die Aufbauten, mit denen ich Experimente durchführte, wie die Geräte funktionierten, welche Probensysteme warum interessant waren, oder ich sollte physikalische Effekte erklären. Deutsche wollen die Welt verstehen.

Wenn ich dagegen versuchte, Briten zu erklären, woran ich arbeitete, wurde ich spätestens im zweiten Satz unterbrochen. Nicht alle, aber die meisten wollten nichts von Effekten wissen, sondern erfahren, an welchem Produkt ich arbeitete: Dinge, die man zeitnah auf den Markt bringen kann, um damit Geld zu verdienen.

Als ich erklärte, meine Forschungen könnten zwar prinzipiell die Computerindustrie revolutionieren, aber erst in ein paar Jahrzehnten, weil sich meine Arbeiten um grundlegende physikalische Effekte drehten, die noch nicht verstanden seien, schauten mich meine Gesprächspartner mit Unverständnis an. Eine Tätigkeit, die nicht direktem Profit diente, kam in ihrem Weltbild nicht vor. Sie verstanden weder meine Motivation noch die Notwendigkeit für meiner Stelle.

Wollte ich meine Erfahrungen kurz und prägnant zusammenfassen, würde ich sagen, Deutsche sind Ingenieure und Briten Geschäftsleute. Die Einteilung von ganzen Völkern in zwei unterschiedliche Berufsgruppen ist natürlich oberflächlich… aber es lassen sich viele Eigenarten erklären.

So ist den deutschen Ingenieuren ein gewisser Perfektionismus gemein. Egal, ob wir uns eine Maschine oder eine Organisation anschauen, wir sehen nur den Teil, der nicht funktioniert und wollen ihn verbessern. Einerseits ist die Bundesrepublik deshalb für qualitativ hochwertige Waren und funktionierende Abläufe weltbekannt. Andererseits schlägt uns die Art der Denke aufs Gemüt. Denn wenn etwas nicht perfekt ist, funktioniert es aus unserer Sicht gar nicht. Wegen kleinen Defiziten geht für uns die Welt unter. Wir sehen Probleme und nicht Potentiale. Bei den Briten ist das Gegenteil der Fall, wie das bei Geschäftsleuten eben ist.

Die Unterschiede werden etwa beim Thema Innovationen deutlich. Echte Neuerungen haben es in Deutschland schwer. Sie sind oft noch nicht ausgereift und „drohen“ altbewährtes zu verdrängen. Im Alltag resultiert daraus eine leichte Rückständigkeit.

Den vergleichsweise schlechten Ausbau dieses neuen Internetz hatte ich bereits erwähnt. Bargeld begegnete mir schon vor den Covid Jahren fast nur noch in meiner Heimat. Die Vorstellung, dass Restaurants alleine Cash akzeptieren, war schon damals in Großbritannien absurd. Eher kam es vor, dass sie ausschließlich elektronische Zahlungsmittel verarbeiten konnten. Maschinelle Passkontrollen an Flughäfen waren auf der Insel schon lange Usus, bevor ich ihnen zum ersten Mal in der Bundesrepublik begegnete. Und die ersten Selbstbezahler-Supermarktkassen habe ich im Vereinigten Königreich fast 10 Jahre vor ihrer Einführung in Deutschland bestaunt.

Dafür funktionieren die inzwischen auf deutschen Flughäfen installierten Passkontrollmaschinen besser als jene auf der Insel. Auch die Supermarkt-Versorgung ist weit besser, und war es bereits vor vollzogenem Brexit (weshalb die Verbreitung von Lebensmittel-Lieferdiensten hinterherhinkt.)

Es ist nicht so, als ob es unter meinen Landsleuten keine technologischen Revolutionäre gäbe. Da wären Carl Benz und Gottlieb Daimler mit ihren Motorenwagen. Philipp Reis mit dem ersten Telefon und Konrad Zuse mit dem ersten universell programmierbaren Computer.

Doch es reicht nicht, über großartige Innovatoren zu verfügen. Ebenso benötigt es Investoren mit Weitsicht sowie Akzeptanz im Markt. Philip Reis traf auf so viel Desinteresse, dass sie vielleicht noch nie von ihm gehört haben. An Zuses Werk waren die damaligen Machthaber nicht interessiert (Zum Glück!).

In meiner Reihe bilden nur die Erfinder des Autos die Ausnahme von der Regel. Und aufgrund unserer großen Stärke, der Perfektionierung, befinden sich heute mehrere deutsche Konzerne in der Spitzengruppe der globalen Hersteller. Zumindest noch. Den Trend zur Elektromobilität haben sie ein bisschen verschlafen.

Die Briten nutzten dagegen ein paar Jahre nach Zuses Erfindung im 2. Weltkrieg die ersten elektronischen Computer, um deutsche Nachrichten zu entschlüsseln, das world wide web beruht auf einem Protokoll des Briten Tim Berners-Lee, in Smartphones und Tablets werden Prozessoren mit einer vom britischen Unternehmen ARM Ltd. entwickelten Architektur eingesetzt, und die hochgelobte deutsche Industrie wäre ohne die entsprechende Revolution in Großbritannien kaum entstanden.

Eine weitere Königsdisziplin der britischen Geschäftsleute ist Marketing. So werden auf der Insel viele Anliegen über Slogans vermittelt, die man so schnell nicht vergisst. Ob historisch, wie mit Your King and Country need you und Keep calm and carry on, oder im Alltag. Alleine das Londoner Nahverkehr-System nutzt mehrere Sprüche, um mit seinen Kunden zu kommunizieren. Neben Mind the gap, sind Mind your head und See it. Say it. Sorted allgegenwärtig. Letzteres ist eine Aufforderung verdächtige Gegenstände bzw. Verhalten zu melden.

Die britische Politik hat die Nutzung von Slogans zu ungeahnten Höhen geführt. Die verschiedenen Phasen der Corona-Pandemie können etwa anhand der von der Regierung erdachten Sprüche nachvollzogen werden: Stay home, protect the NHS, save lives während der ersten Welle, gefolgt von Stay alert, control the virus, save lives, sowie Eat out to help out und Hands, face, space. Während des zweiten Lockdowns wurde Stay home, protect the NHS, save lives reaktiviert. Im Sommer 2021 war dann Entspannung angesagt, zumindest von Seiten der Regierung, mit Keep life moving.

Britische Politiker setzen außerdem wie kaum eine andere Gruppe auf die unterstützende Wirkung von Adjektiven. Im gesprochenen Wort gerne überbetont. Ein Paradebeispiel ist Theresa Mays Lancaster-House-Rede von Anfang 2017, in der sie die Eckpunkte ihrer Politik für die Zukunft Großbritanniens vorstellte, und die meinen weiteren Recherchen eine wichtige Rolle spielte [1].

Dort heißt es unter anderem “I want this United Kingdom to emerge from this period of change STRONGER, FAIRER, more UNITED, and more OUTWARD-LOOKING than ever before. I want us to be a SECURE, PROSPEROUS, TOLERANT country… I want us to be a TRULY Global Britain. (Achtung, Slogan!) … A GREAT, GLOBAL TRADING nation, that is respected around the world and STRONG, CONFIDENT and UNITED at home. “ Die Beispiele stammen aus nur einem Absatz! Hört man britischen Politikern beim Reden zu, bluten einem schnell die Ohren…

Schließlich gibt es eine Phrase, der sich alle hier bedienen, wenn sie etwas anpreisen wollen. Besonders wenn es sich um etwas Britisches handelt. Egal, ob es um ein Buch über englische Geschichte geht, Waren, Infrastruktur, das politische System, kulturelle oder sportliche Leistungen, die Bildungseinrichtungen oder das Gesundheitssystem, alles wird mit dem Spruch „One of the best in the world!“ oder ähnlichem beworben.

Dem Wortlaut nach stimmt die Phrase oft, weil sie so vage formuliert ist. Und weil es so viele weniger entwickelte Länder auf der Welt gibt. Mit anderen Worten, sie ist praktisch ohne Wert, reines Marketing-Sprech.

Die Phrase wird auch in anderen Ländern genutzt. Aber keine Nation trägt ihre Verwendung so sehr in ihrem Herzen wie die britische. Eine Situation kann gar nicht absurd genug sein. Ich verfolgte einmal eine Debatte im britischen Unterhaus zu Anpassungen des hiesigen Tierschutzgesetzes (fragen sie mich nicht warum). Praktisch jeder Redebeitrag wies drauf hin, dass das britische Gesetz zu, na klar, den BESTEN der Welt gehört, aber immer noch verbessert werden kann. Es folgten Beispiele von unbestraften Tiermisshandlungen aus dem jeweiligen Wahlkreis, welche die die Effektivität des bestehenden Gesetzes sehr in Frage stellten...

Ehrlich gesagt, glaube ich, dass die Briten oft genug auf ihre eigenen Sprüche hereinfallen. Neben dem fehlenden Drang zur Perfektion mit ein Grund, warum das Vereinigte Königreich heute zu den am stärksten deindustrialisierten Regionen der Welt gehört, oder wir Smartphones und Computer nicht von hiesigen Firmen kaufen. Briten schaffen es zwar, Innovationen auf dem Markt einzuführen und vielleicht noch zu etablieren, aber im Wettbewerb bestehen sie oft nicht.

Wenn ich etwas länger darüber nachdenke, wären Briten und Deutsche perfekte Partner. Die einen verschaffen neuen Ideen den Durchbruch und vermarkten sie, die anderen sorgen für langanhaltenden technologischen Vorsprung und Konkurrenzfähigkeit. Vielleicht kommt es nicht von ungefähr, dass vieles, wofür wir Deutschen in der Welt bekannt sind, einen britischen Ursprung haben: Industrieprodukte, Panzer und guten Fußball...

Ach, könnten sich unsere beiden Länder nur in einer Art Union zusammenschließen.


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