Bei all meinen Ausführungen werden sie vielleicht monieren, dass ich mich vor allem auf Erfahrungen in London beziehe. Sie hätten Recht. Doch es ist nicht so, als ob wir für uns andere Optionen nicht in Betracht gezogen hätten:
Das Leben außerhalb der Metropole kann richtig schön sein. Ob die sanften, grünen Hügel Englands, die englische Südküste, welche fast schon einen mediterranen Eindruck erweckt, oder die raue Schönheit Schottlands, landschaftlich hat Großbritannien viel zu bieten. Die Naturidylle wird oft nur von herausgeschmückten Dörfern oder renovierten Herrensitzen unterbrochen. Wenn sie mal einen Rosamunde-Pilcher-Film durchgestanden haben, wissen sie, was ich meine. Die Luft ist viel besser, hier kann ich stundenlang wandern. Und das Leitungswasser schmeckt nicht merkwürdig.
Doch so toll wir die countryside finden, wohnen wollten wir dort nicht. Zum einen sind wir Stadtmenschen und genießen den Rummel in größeren Ortschaften, zum anderen gibt es auf dem Land praktisch keine Stellen für einen promovierten Physiker. Und ähnliche Argumente gelten wohl für viele andere Menschen. Aber will man den Zuständen in der Hauptstadt entkommen, bleiben weitere ansprechende Möglichkeiten, oder? Es kommt, darauf an…
Fangen wir mit etwas Positivem an. In den größeren Städten Englands sind die Lebenshaltungskosten in der Tat viel niedriger als in der Hauptstadt. Nimmt man die Immobilienpreise als Maßstab, erreicht das Preisniveau in Manchester oder Birmingham nur zwischen 30 und 40 Prozent von jenem in London. In Liverpool sind es sogar nur 20 bis 30 Prozent. Dazu sind die Behausungen immer etwas größer.
In den genannten Städten hätte es sogar vereinzelte Jobs für mich gegeben, nur waren sie nicht sonderlich attraktiv oder gut bezahlt (also noch schlechter als in London.) Und leider saugt die Hauptstadt nahezu alles an kulturellen Leistungen aus dem Rest des Landes ab. Keine der Theater, Museen, Galerien oder Eventzentren kann mit jenen in London mithalten.
Die meisten Städte außerhalb Londons sind eine Ansammlung an Geschäften und Wohnsiedlungen, denen jeglicher Charme abhandengekommen ist. Eine typisch englische Behausung ist ein Reihenhaus in einer langen Straße, industrielle Massenware ohne Persönlichkeit. Selbst wenn man die Reihenhaus-Siedlungen verlässt und ein reicheres Viertel mit freistehenden Häusern und größeren Gärten besucht, wird es kaum besser. Die Häuser sind zwar keine Kopien voneinander, aber weiterhin schmucklos und sehen billig aus; wie die Straßen und Gehwege zwischen ihnen.
Der Eindruck setzt sich häufig im Inneren der Häuser fort. Dass die Immobilien vieler Londoner Freunde spartanisch eingerichtet sind, hatte mich aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten nicht gewundert. Aber bei unseren Freunden und Bekannten außerhalb der Metropole sieht es nicht anders aus.
Im Wohnzimmer, bzw. der Lounge, stehen oft nur ein Sofa und der Fernseher. Eventuell ist noch ein Sportgerät vorhanden oder es liegen ein paar Spielzeuge der Kinder herum. An der Decke hängt eine schmucklose Lampe mit kaltem Licht, an der Wand vielleicht ein verloren wirkendes Bild, und in der Ecke steht eine moderne Skulptur, a.k.a. der Staubsauger, es gibt ja keine Abstellräume mehr. Mit Glück ist jedoch ein Zimmer frei und dient als solcher. Dann wird jeglicher Kram in den Raum geschmissen. Regale oder Schränke für die Ordnung fehlen meist in allen Räumen.
Auch im Rest des Landes sind mit den niedrigen Gehältern keine großen Sprünge möglich. Viele Siedlungen wirkten auf mich nicht wie Orte an denen Menschen leben, eher wie Gehege, Stauräume für Arbeitskräfte.
In den Städten fehlt es nicht nur an aufwertenden Freizeit-Einrichtungen, das gleiche gilt für Menschen, welche sie mit Leben füllen oder alleine durch ihre Präsenz eine Nachbarschaft bereichern. Künstler und Kreative zieht es nach London. Überhaupt, wer Karriere machen will, hat mehr Chancen in der Metropole. London ist gewissermaßen die Elite-Uni unter den Städten.
Dass etwa meine Frau ihre Ausbildung vor der Approbation in der Hauptstadt absolvierte, ist bereits eine Auszeichnung. Vor jeder Spezialisierungsstufe müssen junge Ärzte Prüfungen bestehen, die Ergebnisse werden landesweit gerankt. Der oder die beste darf sich als erstes seine Wunschregion und in dieser den konkreten Arbeitsplatz aussuchen. Da London nicht nur kulturell attraktiv ist, sondern die besten Krankenhäuser beherbergt, landen die besseren Ärzte in der Hauptstadt.
Ähnliches gilt für die allgemeine Infrastruktur. Die mag in London marode sein, aber das ist kein Vergleich zum Rest des Landes. Das Straßennetz ist in einem bescheidenen Zustand, Züge weisen wesentlich mehr Verspätungen auf als in Deutschland, wenn sie nicht gleich ganz ausfallen. Der Nahverkehr ist nur sporadisch ausgebaut. Und viele Busse im Fernverkehr sind eher am Ende ihres Lebenszyklus als am Anfang. Bei einer Reise mussten die Kisten sowohl auf der Hin- wie auf der Rückfahrt wegen technischer Defekte ausgetauscht werden. Die Supermärkte sind zwar größer als in London, die Angebotsvielfalt jedoch kaum. Außerdem fehlen die vielen exzellenten Off-Licence-Shops und Delikatessengeschäfte welche das Angebot erweitern. Nur die Internetverfügbarkeit ist weiterhin besser als in vergleichbaren Regionen Deutschlands.
Natürlich sind meine Eindrücke hier verdichtet und wirken daher leicht überspitzt. Es gibt einige Städte, in denen wir gut hätten leben können. Oxford und Cambridge haben sowohl architektonisch als vom Menschenschlag ein ganz anderes Flair. Auch passende Jobs wären für mich vorhanden gewesen, im Umkreis der beiden Städte haben reichlich High-Tech-Firmen ihren Sitz.
Einem möglichen Umzug standen aber zwei Hürden im Weg. Zum einen mein popeliger deutscher Abschluss, welcher die Chancen auf die angepriesenen Jobs deutlich verringerte. Zum anderen die Häuserpreise. Die hinkten jenen in London nur wenige Prozentpunkte hinterher. Oxford und Cambridge sind halt Universitätsstädte. Viele Studierende bleiben nach Abschluss vor Ort und verdienen gut.
Für uns blieben damit noch zwei Möglichkeiten: In die Randgebiete Londons oder in den erweiterten Speckgürtel ziehen. Nun, bei ersterer kann man gleich in eine andere Stadt abwandern. Sobald man Inner London verlässt, wird die Architektur ähnlich deprimierend wie anderswo, gleiches trifft auf den Ausbau der Infrastruktur zu. Hier wohnt nur, wer sich die gehobeneren Viertel der Stadt nicht leisten kann. (Ausnahmen bestätigen die Regel.)
In den Vororten sieht es etwas besser aus. Zahlreiche Bahnlinien laufen sternförmig auf die Metropole zu, die Züge sind eng getaktet. Liegt der Arbeitsplatz in der Nähe der Londoner Bahnhöfe, ist die Reisezeit eventuell kürzer, als wenn man sich durch den Londoner Nahverkehr quälen muss.
Von King’s Cross und Euston Station, geht es etwa Richtung Norden. Innerhalb einer Stunde Fahrzeit, dem typischen Zeitaufwand, um in London von A nach B zu kommen, erreicht man nacheinander die Städte St. Albans, Luton oder Milton Keynes. Nach 90 Minuten ist man in Northampton, welches Luftlinie von London so weit entfernt ist, wie Bremen von Hamburg.
Natürlich hat der gute Anschluss an die Metropole einen Preis. Immobilien kosten wieder mehr als in den meisten Städten Englands. In Milton Keynes, Luton und Northampton entsprechen sie 60-40 Prozent der Londoner Preise. St. Albans liegt so nahe an der Metropole, dass der mittlere Preis über dem Londoner Schnitt liegt. Und man darf die Kosten für Zugtickets nicht vergessen.
Die Zeitfahrkarten für Pendler sind weit teurerer als in Deutschland. Eine Jahreskarte zwischen Hamburg und Bremen bekam man 2022 für 2.964 Euro. Die vergleichbare Strecke zwischen London und Northampton kostete dagegen mehr als doppelt so viel, 6.328 GBP. Über die Jahre addieren sich die Kosten zu einem kleinen Vermögen. Pendelt man 30 Jahre zum genannten Preis, gehen über 170.000 GBP an die Bahngesellschaft, für eine einzelne Person.
Da macht es finanziell mehr Sinn doch eine Immobilie in London zu kaufen. Zwar deckt das Ticket nicht die Differenz der Immobilienpreise ab, aber die Investition in der Metropole verspricht einen größeren Wertzuwachs als anderswo.
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